Communicare
August 2021 | Dorothea Kurteu
Dieser Text ist erstmals am 6. August 2021 in der Blog-Community wildes weben im Magazin des Carl Auer Verlags erschienen.
Das Vorhaben des Textes ist eine Spurensuche, ein episodisches Nachdenken über das Sprechen, das Hören, die Begegnung, das Überraschende, das Verwandeln und die Räume, in denen das geschieht. Wichtig ist mir dabei, auch Landschaften, Lebewesen und Personen sichtbar zu machen, deren Vermögen zwar oft genutzt (manchmal missbraucht) wird, die aber selten benannt und bedankt werden.
Gespräche mit Freunden
Nach längerer Zeit habe ich vergangene Woche meine Freundin Klara wiedergesehen. Es war eine dieser Begegnungen, die währenddessen und in ihrer Nachwirkung erfrischend, lebendig, tief, leicht, inspirierend sind. Natürlich bleibt da der Zauber der Unverfügbarkeit, das Geschenk eines Momentes, doch gibt es in Gesprächen mit manchen Menschen etwas Wiederkehrendes, das es lohnt, nachgelesen zu werden. Was ist es, das hier über den glücklichen Moment, über das sich mögen und einander etwas zu sagen haben, hinaus wirkt?
Wenn Klara und ich uns treffen, sind da nicht nur wir zwei. Der Raum zwischen uns ist unser – zirkulärer – Mitspieler. Ein Raum, in den wir hineinsprechen und der mitspricht. So ein – nicht lineares oder auch rein assoziatives – Sprechen ist eine Gesprächskomposition, die eben auch sehr leicht und willkommen Überraschendes und Verwandelndes ermöglicht.
Selten fragen wir “Wie geht es dir?”. Eine Frage, die natürlich grundsätzlich empathisch ist, doch oft ein lineares und binäres Erzählen in Gang setzt. Wir sprechen wenig über Befindlichkeiten, mehr über Etwas, in das dann auch Befinden einfließt, aber nicht in der Konserve mitgebracht, sondern vergegenwärtigt in eben diesem Raum. Unsere Gespräche sind nicht auf der Suche nach möglichstem Einverständnis, sie kreisen oft um Unterschiede und Differenz, manchmal auch im Streit. Oft höre ich in Einzel- oder Gruppengesprächen den Satz “Ich sehe das genau wie du!”, meist sogar “Mir geht es da genau wie dir!”. Ein Satz, der Verbundenheit ausdrücken soll. Wäre es nicht eher die Frage “Was meinst du, wenn du sagst …?” die – in den Zwischenraum gesprochen – verbinden würde? Verbinden in der anzunehmenden Unterschiedlichkeit.
Das worüber ich hier zum Mikrokosmos der Freundschaft spreche, hat natürlich Verbindung zur Umwelt und damit gesellschaftspolitische Relevanz. Wir erleben das gerade, aus meiner Sicht in sowohl anstrengender wie gefährlicher, als auch in notwendiger und interessanter Weise. Es sind unsere nahen Beziehungen und Communities, in denen wir das Denken, Sprechen, Streiten und Handeln immer wieder neu (ver)lernen können.
Archipelisches Denken
“Glissant hat uns Möglichkeiten eines globalen Austauschs aufgezeigt, die die Kultur nicht homogenisieren, sondern eine Differenz produzieren, aus der Neues entstehen kann.” – sagt Hans Ulrich Obrist, Kurator für zeitgenössische Kunst, über seinen Freund, den Kulturphilosophen und Schriftsteller Éduard Glissant.1
Glissant wurde 1928 auf Martinique geboren, einer Insel der Kleinen Antillen in der Karibik. Er hat später an der Sorbonne studiert und war sein Leben lang ein politisch aktiver Intellektueller. Es ist die Geschichte und – hier vor allem interessant – die Geografie (Erde (be)schreiben) des Archipels, die Éduard Glissants inspirierendes Denken geprägt haben.
Die Karibische See und ihre Archipele seien sowohl ein Ort des Durchgangs und der Passagen, wie auch ein Ort der Begegnung, der Einbeziehung, der Umwandlung, sagt Glissant. Hier sind auch die Kreolsprachen entstanden, eine Kombination aus der Sprache der französischen Kolonialherren und den afrikanischen Sprachen der versklavten Migrant*innen2. Die Kreolsprachen tragen diese Sprach-Elemente in sich, sind jedoch auch etwas Eigenständiges, unerwartet Neues. “Die Identität des Einzelnen sowie die kollektive Identität sind nicht unveränderlich und ein für alle mal festgelegt. Durch einen Austausch kann ich einen Wandel vollziehen, ohne mich selbst zu verlieren oder meine Natur zu verleugnen. Das lehrt uns das Archipelische Denken.” (aus: Kultur und Identität. Ansätze zu einer Poetik der Vielheit3)
Das Archipel hat kein Zentrum, es bildet keine vereinheitlichende Synthese, sondern ein Beziehungsnetz, ein Rhizom. Archipelisch zu denken (zu sprechen, zu hören, …) bedeutet für Glissant auch ein suchendes Denken in Spuren, ein Zittern, ein Beben, das nicht beherrschend, bezwingend, nicht systematisch ist, sondern intuitiv, poetisch, brüchig, ambivalent. Nur so ein Denken könne die Komplexität unserer Welt und seine Unvorhersehbarkeit erfassen, beforschen und mitgestalten.
Radikale Übersetzung
Die nördliche Nachbarinsel Martiniques ist Dominica. Hier versucht zur Zeit ein internationales Forscher*innenteam, die Sprache der Pottwale auf menschlich zu übersetzen. CETI – Cetacean Translation Initiative (Wal-Übersetzungs-Initiative) heißt das Projekt, laut einem Artikel in der Zeit nicht ganz zufällig verwandt mit SETI – Search for Extraterrestrial Intelligence.
Es ist bekannt, dass sich manche Wal-Arten durch ihre Gesänge und Rufe über Tausende von Kilometern miteinander verständigen können. Die Forscher*innen von CETI sind an den knackigen Pottwal-Codas interessiert und wollen sie als erste Tiersprache mithilfe künstlicher Intelligenz entschlüsseln. Radikale Übersetzung heißt das Konzept aus den 1980er Jahren, das dem zugrunde liegt. Zwei Sprachphilosophen, Willard Quine und Donald Davidson, überlegten damals, wie man im Fall eines “Erstkontakts mit einer radikal fremden Zivilisation” Zugang zu deren Sprachwelt gewinnen könnte. Quine und Davidson selbst sprachen allerdings auch von Radikaler Interpretation, da “unvermeidlich die Struktur und die Semantik der eigenen Sprache in die fremde Sprache hineingelesen wird. Der Preis der Verständlichkeit ist also die Überformung der Andersheit.” 4
Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Professionen diskutieren CETI kontrovers, wobei es eher um die Chancen auf Gelingen geht. Diana Reiss, Professorin für Kognitive und vergleichende Psychologie der City University of New York, die in einem eigenen Projekt versucht, mit Delfinen ins Gespräch zu kommen, findet CETI interessant, doch sie betont, “dass Kommunikation, insbesondere zwischen Mensch und Tier, nur funktioniert, wenn eine persönliche Beziehung hergestellt wird. Ich sage meinen Studierenden: Versucht nicht auf Teufel komm raus, alles zu analysieren – lasst die Tiere eure Lehrer sein!” 4
Die Zeit betitelt den Artikel zu CETI übrigens mit – “Hallo! Verstehst du mich?”, und auf Deutschlandfunk Kultur fragt der Philosoph David Lauer – “Sind wir reif für die Botschaften anderer Wesen?” – und – “Würden wir es ertragen, anzuhören, was sie uns zu sagen hätten?” 5
Mag sein, ich bin jetzt unfair, doch die verniedlichende, tendentiell regressive und sowieso anthropozentrische Untiefe solcher Fragen macht mich wütend. Deshalb noch ein faktischer Nachsatz zu den wunderbaren Walen und ihrem Leiden durch die über die Erde und durch die Wasser lärmenden Menschen. – Die Meeresschutzorganisation OceanCare berichtet, dass die immer wieder sich ereignenden atypischen Strandungen 5 von Walen vom todbringenden Unterwasserlärm der Menschen verursacht sind. Die Schallkanonen, die bei der Ölsuche eingesetzt werden oder die Sonarsysteme der Militärs lassen Wale ertauben oder führen zu einer “Taucherkrankheit” bei den Tieren, weil sie in einer Schockreaktion auf den Schall zu schnell auftauchen. Es geht hier um Lautstärken, die für Menschen fast unvorstellbar sind, bis zu 260 Dezibel, das ist das Milliardenfache dessen, was bei einem Menschen im Abstand von einem Meter zu Hörschmerz führen würde.7
Es gibt viele Leute, die mit Bergen sprechen
Das Gedicht, das Habiba Kreszmeier kürzlich hier8 veröffentlicht hat, hat mich an Ailton Krenak denken lassen, eine der wichtigen Indigenen Intellektuellen Stimmen des gegenwärtigen Brasilien, seit den 1970er Jahren Aktivist der Sozial- und Umweltbewegung des Landes.
Vor zwei Jahren ist “Ideias para adiar o fim do mundo” 9 (“Ideen, das Ende der Welt aufzuschieben”) erschienen. Ein Buch aus Vorträgen und Gesprächen, gehalten und geführt in Lissabon 2017. Damals war Ailton Krenak zum ersten Mal nach Portugal gereist. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte er mit den Portugiesen und Europäern nicht viel zu besprechen gehabt, sagt er, doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ermögliche eine Kooperation von Denker*innen aus unterschiedlichen Kulturen andere Visionen einer Ordnung der Welt. – “Wir alle müssen aufwachen. Eine Zeit lang waren es wir, die indigenen Völker, die bedroht waren von der Auslöschung unserer Lebensgrundlagen. Heute steht uns allen bevor, dass die Erde unser Verlangen nicht weiter erträgt.”
“Es gibt viele Leute, die mit Bergen sprechen” – erzählt Ailton Krenak und ich möchte ihm, als einem, der das ganz ohne Decodierung und KI kann, die abschließenden Sätze in diesem Nachdenken über Räume des Sprechens und Sorgens geben. –
“In den Anden findet man Orte, an denen die Berge Paare bilden. Eine Familie von Bergen, die sich austauschen und Zuneigung zeigen. Und die Menschen, die in diesen Tälern leben, feiern für diese Berge Feste, geben Essen, machen Geschenke, bekommen Geschenke von den Bergen. Warum begeistern uns diese Geschichten nicht? Warum werden sie vergessen und ausgelöscht zugunsten einer globalisierenden, oberflächlichen Erzählung, die uns die eine gleiche Geschichte erzählen will? Auf eine bestimmte Weise wurden wir dazu domestiziert, nur an eine Welt zu glauben. Das produktive Subjekt wurde getrennt von denen, die nicht dieselbe Struktur haben, um eine monochromatische Welt zu bewohnen in der monochromatische Ideen produziert werden. Mit Intoleranz gegen Unterschiede, gegen Diversität und die Möglichkeiten der Überraschung. Das sind die Ideen, die in diesem kleinen Buch stehen.”
Anmerkungen, Links, Literatur:
1100 Notizen, 100 Gedanken Nr38, Publikation der documenta Kassel 2012
2 die Indigenen Sprachen spielen bei der Bildung der Kreolsprachen auf den Antillen eine geringe Rolle, da die einheimische Bevölkerung zB auf Martinique bereits Mitte des 17. Jh beinahe vollständig getötet worden war.
3Kultur und Identität. Ansätze zu einer Poetik der Vielheit. Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2005
5 https://www.zeit.de/2021/26/tiere-sprache-kuenstliche-intelligenz-wale/komplettansicht
6 Als atypische Strandungen bezeichnet man Strandungen mehrer Arten von Walen in einer überschaubaren Region, meist eben sog. Tieftaucher. Im Vergleich dazu: Einzelstrandungen von Tieren oder Strandungen einer Gruppe einer Art.
7 mündliche Mitteilung, https://www.oceancare.org/de/
8 https://www.carl-auer.de/magazin/wildes-weben/poetisches-dazwischen
9 Ailton Krenak, Ideias para adiar o fim do mundo. Companhia das Letras, 2019
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